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#beforecorona
Rund 2500 Kilometer trennen uns von Cancun, dort holen wir in 15 Tagen einen Freund aus Deutschland zum Anti-Liebeskummer-Programm ab. „Im Schnitt 170 km/Tag“, sage ich zu Fabi und zeige auf mein ausgeklügeltes Tourismuskonzept. Klingt machbar, oder?

Wo ist denn der Wurm?
Aus Méxicos Agavenarten wird nicht nur Tequila, sondern auch Mezcal gebraut. Für uns recht ähnlich auf der Zunge, ist die Frage Meszcal oder Tequila für Mexikaner eine Glaubensfrage. Wer den berühmten Wurm sucht, findet ihn allerdings nur im Mezcal, und auch nur in bestimmten Sorten. Der Wurm-Mezcal: Ein genialer Marketing-Trick. Auch wegen der potenzsteigernden Wirkung, die natürlich gelogen ist. Wir verzichten auf Tierchen im Mezcal, trotzdem ist irgendwie der Wurm drin bei uns:
In Puebla angekommen wollen wir die berühmte Pyramide von Cholula anschauen. Verschiedene indigene Völker haben dieses gigantische Bauwerk errichtet, die Spanier hielten es für gut eine Kathedrale oben drauf zu setzten. Wir sind gespannt auf die Altstadt rund um den Zócalo (zentraler Platz), die vielen Restaurants und bunt bemalten Talavera-Fliesen – auch wenn unsere aktuelle Küche keine Wand hat #outdoorküche.
Die Realität sieht anders aus. Abgekämpft kommen wir nach Umfahrung von México Stadt am Campingplatz an. Alles blättert hier ab, der Pool liegt traurig trocken zwischen Chipstüten und Hundescheisse. Letztere gehört zu einem aggressiven Husky-artigen Riesenhund. Keine 2 Sekunden von der Eisenkette los, hetzt er auf unseren Welpen, Yumi los. Die macht vor Angst sogar auf meinem Arm Pipi. Ich fast mit. Das Viech ist gigantisch und hört auf niemanden.
Begleitet wird die Szenerie von Donnerschlägen und Schüssen in 10 sekündigen Abständen, Karneval kann auch nerven! Ich taste zum wiederholten Male meinen Hals ab, der sich inzwischen nicht mehr nur von innen dick anfühlt. Nur ein paar Stunden Schlaf, denke ich und schlucke gegen den Schmerz an.
Eine weitere Hundeattacke später (Yumi kommt nicht mehr unter dem Auto hervor) haben wir genug und fahren entgegen unserer Regel trotz beginnender Dämmerung weiter. Bloss weg hier!
Ein Sofa
Die unbekannte Dunkelheit macht uns unsicher. Wir verfahren uns in engen Gassen, finden den Eingang zum Campingplatz nicht, schimpfen. Ich schlucke und überlege wie ich meine Spucke länger sammeln könnte. Endlich finden wir die Zufahrt. Yumi bellt schrill, auch sie hat genug für heute. Da sagt der Waschmann:“Oh, Hunde sind hier aber nicht erlaubt.“ Fabi lässt den Klopf nach vorn fallen. Wenn bei allen der Akku zur gleichen Zeit leer ist, wird’s gefährlich auf Reisen.
Ich nehme meinen letzten Fitzel Charme zusammen: „Bitte, nur eine Nacht, es ist schon so dunkel!“ Der Typ hat Mitleid. Wir dürfen auf dem Parkplatz stehen. Die Anlage ist schön. „Ich hab keinen Bock mehr!“, stöhnt Fabi und spricht mir dabei aus der Seele. Trotzdem kämpfe ich mit den Tränen, will irgendwie nicht Kleinbei geben und schimpfe zurück: „Ich versteh’ nicht was Du hast, jetzt sind wir doch hier. Und morgen können wir…“ Es weht ein angenehmer Wind über unsere Köpfe, die Pflanzen duften herrlich. Aber wir spüren nichts davon, heute nicht. Wir wollen ein Sofa und unsere Ruhe. Heute ist alles zu viel.
Vorbei am Popo
Am nächsten morgen geht es ziemlich still weiter, noch 13 Tage Zeit. Am Horizont raucht der Popocatépetl, liebevoll Popo genannt. Daneben friedlich der Iztaccíhuatl Vulkan. Natürlich haben die Mexikaner eine Legende parat, eine Liebesgeschichte:
Der Azteken-Krieger Popocatepetl wird zum Kämpfen fortgeschickt von seiner geliebten Prinzessin Iztaccíhuatl. Ein Rivale belügt diese und verkündetet Popocatepetls Tod. Sie stirbt vor Kummer. Popocatepetl kommt zurück, findet seine Liebe tot und schafft ihr ein gigantisches Grab. Davor kniend stirbt er. Seither liegen sie eng beieinander, von Schnee bedeckt und rauchen gemeinsam vor sich hin.
Dicke Mandeln in Oaxaca
Der idyllische Campground Rincón de San Agustin soll unser Ausgangspunkt für die Erkundung der Hauptstadt Oaxacas werden. Dann soll es durch die Sierra Madre zum Surfen nach Puerto Escondido gehen.
Die Realität: Lazarett. Unsere Nachbarn haben Lebensmittelvergiftung. Mein Rachen ist ein Bakterienspielplatz. Mit Fieber und Schmerzen trotz Medis warte ich oben im Klappdach auf die Wirkung des Antibiotikums: Tagelang ausgeknockt, zu schwach zum Reisen. Fabi kümmert sich um alles. Tagelang passiert nichts. Bloss, dass unser Nachbar ins Krankenhaus muss – dehydriert. Ich fühle mich auch todkrank und habe Alpträume von einer Mandel-Operation in México (Berufskrankheit wahrscheinlich). „Ein Hoch auf Co-Amoxicillin“, denke ich als ich wieder Toast schlucken kann. Da sind es noch 7 Tage Zeit für 2000 km. Immer noch machbar?
Wir lenken ein und ändern unsere Pläne, denn obwohl viele Strassen hier gut sind lernst Du: Es zählt nie die Distanz, sondern die Streckenverhältnisse. Und die Strasse nach Puerto Escondido durch die Sierra Madre würde uns mit Hundewelpen 2 Fahrtage kosten – für grad mal 250 Kilometer.
Zudem hören wir, dass die berüchtigte Carretera 199, die auf unserer weiteren Route Richtung Palenque liegt, aktuell wieder sehr unsicher ist. Bewaffnete Raubüberfälle auf Touristen auch tagsüber, verschwundene Täter…Unser mexikanischer Freund Raúl rät uns von der geplanten Route durchs wunderschöne Chiapas ab.
Echt bio
Wir nehmen einen andere Weg Richtung Atlantik, durch den Bundesstaat Veracruz. Hier ist es auch nicht unbedingt ungefährlich. Die Zetas sind unter den Drogenkartellen bekannt für ihre Aggressivität. Pech haben kann man immer, klar. Aber wir kommen problemlos durch, wie die grosse Mehrheit aller Touristen. Auch weil wir uns an unsere goldenen Reiseregeln halten. Obwohl, fast:
Übernachtet wird hinter Martinas Häuschen zwischen Gänsen und Hühnern direkt an der Autobahn statt auf einem offiziellen Campingplatz. Die hat es hier einfach nicht in der Gegend.


Martina ist Mitte 50 und lebt und wuppt ihr Trucker-Restaurant allein über dem sie beschützt durch ein paar Hunde wohnt. Aber sie hat schon so mache prekäre Situation gemeistert, damals im Krieg zwischen Zapoteken und Militär als ihr Restaurant zur neutralen Zone im Kriegsgebiet erklärt wurde. „Hier ist es dagegen geradezu ruhig“, lacht sie freundlich während sie kocht und gleichzeitig erzählt. Geld will sie eigentlich keines, nur fürs Essen. Zum Abschied schenkt sie uns frische Eier, die seien echt bio. Für solche Begegnungen reist man #peopleofpanamericana
Das hab ich im Urin
Für diese hier eher nicht: Eine Nacht am Truckstop hinter der Pemex-Tankstelle. Es ist laut, grell und über allem schwebt eine beissende Urinwolke. In den WCs kann man sich gut in Demut üben. Yumi weiss auch nicht so recht, zwischen all den Trucks und dem Müll. Wie viele #Vanlife Bilder kennst Du die sowas zeigen? Genau. Aber auch das ist Reisen. Und es ist völlig ok, für eine (sichere) Nacht.

Karibikflair
Noch 5 Tage. Wir preschen die Atlantikküste entlang, vorbeifahren tut immer weh. In Campeche wird es karibisch, wir übernachten auf der Isla Aguadas direkt am türkisfarbenen Meer. Hier treffen wir ein paar schweizer Gleichgesinnte und tauschen Erlebnisse aus. Überhaupt begegnen wir jetzt öfter anderen Reisenden. Das tut uns beiden gut. Gespräche mit Fremden, neue Eindrücke, mal jemanden anderen zu sehen als den Partner. Reisen heisst auch oft oberflächliche Gespräche zu führen. Denn oft kennt man sich nicht. Nichts ersetzt Freunde und Familie. Die sind weit weg und bleiben es manchmal, trotz modernen Kommunikationstechniken. Doch ein Gespräch mit Fremden ist auch immer eine Chance und oft ist eine Überraschung drin versteckt. Man muss sich nur trauen…
Fondue in Mérida
Freunde zum Anfassen gibt es aber zum Glück auch manchmal auf der Reise. Wir treffen Anina aus der Schweiz die als digitale Nomadin aktuell in Mérida lebt. Und wir lassen uns nicht mehr hetzten. Ich sage zu Fabi: „In 15 Tagen quer durch Mexico – blöde Idee!“ „Oh man, ja…voll!“, stimmt er mir zu.
Das Auto parkt faul rum für die letzten 3 Tage, während wir die Vorzüge von Pool und Badezimmer unseres Airbnb geniessen. Die Hitze steht wie ein Schild in den Strassen, aber es macht Freude Eis schleckend durch die Altstadt zu spazieren während Anina begeistert Hundesitting macht. Abends sitzen wir bei Corona, was damals bloss ein Bier ist und schweizer Fondue zusammen in bunter mexikanisch-cosmopolitischer Runde. Danke dafür Anina!
Die Zeit plätschert gemütlich dahin. Keine Hektik, weniger ist mehr. An Tag 0 sind wir wieder auf grün und freuen uns darauf unseren Freund in Cancun abzuholen – auf einen gemeinsamen Roadtrip durch die Yucatan Halbinsel.




…so eindrücklich beschrieben…gut, dass Ihr auch das gemeistert habt..und sooo schöne Fotos 👌🏼
😘😘
Danke, das freut uns 😊