Beim lauten Schluss-Gong meiner ersten ZEN-Meditation falle ich fast vom Polster. Wir sind auf Familienbesuch in Cambridge bei Bo-Mi, der Schwester meines Onkels. Sie lebt dort im ZEN-Zentrum und arbeitet an der Harvard Universität.
Mein erstes Mal- Meditation
Ich starre an einen kleinen Fleck an der Wand. Immer wieder fallen mir die Augen zu. „Jetzt bloss nicht einschlafen“, denken ich, „hätte ich mal nicht so viel gegessen!“
Der Fleck an der Wand fängt an zu flimmern. Ich wippe leicht nach links in meiner Schneidersitz-Position, mein linker Fuss wirkt tot, das stört. „Wie viele Minuten wohl schon vergangen sind?“, frage ich mich und schiele zur Seite. Bo-Mi hat die Augen geschlossen, Haltung und Gesicht entspannt scheint sie ganz woanders und gleichzeitig sehr präsent zu sein. „Jahrelange Übung“, denke ich und finde meinen Fleck nicht wieder. „Komm schon, einfach an Nichts denken, oder zählen hat sie gesagt“, denke ich. Ich zähle: „Eins, zwei – ob ich gleich wieder was denke? Drei, vier – ob Fabi den Film schon fertig geschnitten hat? Fünf – ob gleich was in meinem Kopf passiert? Sechs, sieben, acht – nicht einschlafen Franzi! Neun, zehn – jetzt sind aber sicher schon 15 Minuten vorbei, oder? Elf – wie banal deine Gedanken sind! Zwölf, dreizehn…“ Mein Fleck an der Wand ist wieder da. Ich zähle weiter, fange neu an, immer wieder.
Mit der Zeit vergesse ich die Zeit, zumindest zwischendurch mal. Die Stille im Raum voller Menschen wirkt kraftvoll, das erste Mal bekomme ich eine Idee davon, was Energie im Raum meinen könnte. Beim lauten Schluss-Gong meiner ersten ZEN-Meditation falle ich fast vom Polster.
Alle kommen sachte zurück, nur Bo-Mi ist sofort wieder da: „Ich hab total Lust auf Eis, Ihr auch?“ Sie streift ihre Robe ab, checkt ihr iPhone: „Hier, 10 Minuten zu Fuss, das beste Eis in Cambridge!“ „Na klar“, antworte ich während ich unauffällig versuche meinen tauben Fuss zu massieren. Fabi ist fertig mit Video schneiden, Bo-Mi schaut drüber, beide lachen zufrieden. „Und wie wars?“, fragen sie mich. Ich bin überfordert mit einer prägnanten Antwort. Zum Glück macht das gar nichts. Fürs Erste war ich vielleicht einfach mal dabei. Was für den Meditations-Profi dazu gehört wie Zähneputzen hängt mir noch eine Weile nach, während wir schon lange beim Eisessen sind.
ZEN – Zentrum

Es ist Sommer, unser Auto parkt im Innenhof des ZEN-Zentrums, um uns herum Stadtleben. Bo-Mi lebt gegenüber in ihrer eigenen kleinen Wohnung. Wir teilen Küche, Bad und Wohnraum mit den Bewohnern des Zentrums. WG in gross: Es wird gemeinsam vegetarisch gekocht, meditiert, geschwiegen, geputzt, diskutiert, gewaschen, gestritten und gelacht. Für uns sind Buddhismus, Meditation und ZEN-Zentrum spannendes Neuland. Vegetarisch kochen geht aber gut. Zusammen mit Bo-Mi kochen wir für locker 20 Menschen Quinoa-Salat mit geröstetem Tofu und Gazpachio.
Alle wollen Bo-Mis Leute kennenlernen, also werden wir herzlich empfangen. Unsere Reisepläne harmonieren gut mit dem ZEN-Buddhismus, merken wir anhand des Feedbacks. Einige sind weit und intensiv gereist und können gut erzählen. Ganz „klassische“ Lebensläufe findet man eher weniger. Zwei Punkte mit einer Gerade zu verbinden ist vielleicht nicht der schnellste Weg ins Glück. Wir nehmen an einer ZEN-Master Session teil. Es werden Fragen gestellt die oft keine Antwort finden. Das ist für alle okay, denn hier wird nicht gepredigt. Keine Antwort auf die grossen Fragen zu kennen und dies zu akzeptieren fühlt sich für uns als Teil des ZEN-Buddhismus an. „Wirkt so gar nicht wie Religion sonst“, denke ich. Was mich persönlich aber dann noch an „Kirche“ erinnert sind die Rituale, die Gesänge (Chanting) und die strenge Meditationsroutine im Alltag. Wir merken relativ schnell, leben im ZEN-Zentrum – nein, das wäre zu extrem für uns!
Wie Bo-Mi das macht, im Spagat zwischen Harvard-Dozentin und leitender Funktion im ZEN-Zentrum? Wie sie innerhalb von Sekunden vom Foody zur Philosophin wird, nur um wenig später über Astrologie, Politik oder Filmemachen mit Dir zu diskutieren bleibt ein grandioses Phänomen, Bo-Mi eben.
Bitte knacken Sie mit den Synapsen
Was wir nicht so richtig wussten: Cambridge ist eine von Boston unabhängige Stadt. Den Übergang markiert der Charles River mit seinen grünen Ufern. Wir wohnen direkt am Central Square im Herzen Cambridges. Plötzlich sind die Pickups verschwunden, wir sehen viele Fahrräder und noch mehr Jogger. Die Cafés sind voller junger Menschen aller Farben, oft am Laptop oder in Diskussionen vertieft. „Ob die am Nebentisch wohl grad über ihr neustes KI (künstlicher Intelligenz) Projekt reden“, fragt man sich immer wieder zwischendurch. Cambridge beherbergt gleich zwei top Universitäten, Harvard und das MIT, und das merkt man.
Wer hier neben Dir sitzt ist meist schlau, nein, super schlau. Wir stöbern stundenlang im MIT Bookstore, hier gibt es das Neuste frisch gedruckt. Die Mass Ave. weiter runter finden wir das MIT-Museum. Wir schauen alles genau an: Roboter, Architektur und besonders die Sonderausstellung „Ganson’s Palette“ von bewegten und belebt anmutenden Maschinen. Und immer wieder treffen wir Bo-Mi zum Essen und kommen vom Dies und Das zum grossen Ganzen und zurück – bis die Synapsen knacken. Cambridges Geist ist ansteckend wie Windpocken.
Krank werden hier übrigens einige wirklich. Bo-Mi erzählt uns von der Sonderregelung Cambridge. Einige der Studenten forschen und büffeln bis zum Umfallen, irgendwann bringt dann vielleicht auch Ritalin (Aufputschmittel) Konsequenzen mit sich. Psychische Zusammenbrüche mit Depression oder temporäre Psychosen sind häufiger als anderswo. „Viele meiner Studenten stehen unter enormem Leistungsdruck“, meint Bo-Mi „sie kommen als Jahresbeste oft mit Stipendien und plötzlich sind sie an Harvard nur ein ganz kleiner Fisch unter vielen. Einige kommen damit nicht klar“. Daher gilt in Cambridge: Bestimmte Institutsleiter dürfen verfügen, dass ein Student in zeitweise psychiatrische Verwahrung kommt. Natürlich nicht auf Dauer und auch nur in begründetem Fall- finden wir trotzdem krass!
Innovation zum Reinbeissen
Lustiger ist da die asiatische Einhorneiscreme, die wir mit Bo-Mi nach Dim-sum in Chinatown drüben in Boston einnehmen. Überhaupt merken wir, dass Innovation in den USA anders läuft als in Deutschland bzw. Europa. Beispiel Einhorneiscreme: Die Idee ist etwas verrückt, sieht aber hübsch aus, schmeckt und wichtig- sie ist brandneu. Das reicht in den USA oft um von der Idee zur Tat zu schreiten. Denn hier stürzt sich der Markt auf Neues, noch nie Dagewesenes. „Skurril! Schmeckt das denn überhaupt, oder sieht das nur gut aus? Vanille ist eh meine Lieblingseissorte!“, würde man hier nicht hören. Hypes kommen eben selten aus Deutschland.
Aber ist neu immer besser? Suggestivfrage! Aber nur altbewährt hat uns auch nicht auf Mond und Mars gebracht. Wer da nie hin wollte, bitte. Aber jeder kennt doch diesen Typus der zwar gern in den Fernseher schaut, dieses sogenannte Internet jedoch verteufelt.
Dauerhaft halten tun sich viele dieser Innovationen in den USA nicht. Bo-Mi zeigt uns auch Lady M, einen super angesagten Laden für Kuchen. Die sind mit zig Schichten, ähnlich einem Blätterteig aufgebaut und schmecken z.B. nach Zitrone oder Macha. Die haben sich gehalten, sogar in New York. Und zwar weil sie, als nicht mehr brandneu drauf stand, noch immer extrem lecker waren- wir können es bestätigen!
Was die Einhorneiscreme angeht ist meine Meinung: „Vanille ist immer noch meine Lieblingseissorte!“. Aber mal sehen was die Zukunft bringt für Bostons Einhörner.
Cambridge ist gut zu uns, wir bleiben länger als gedacht. Kopf und Bauch sind vollgeschlagen, langsam kribbelt es wieder- es gibt noch so Vieles zu entdecken. Wir sagen auf bald, tanken voll und nehmen Kurs westwärts.
Eine wunderbare Geschichte – Danke!
Liebe Romana, danke Dir vielmal und liebe Grüße!
… da schließe ich mich Nicoletta gerne an… mehr davon bitte.. ganz bald 😘😘
…Danke, freut uns sehr! ☺️
Sehr spannend und manchmal zum Schmunzeln geschrieben. Man möchte immer weiter lesen und kann die Fortsetzung kaum erwarten. Dein Stil ist wirklich sehr gut. Bitte mehr davon!
Danke Ammi!!☺️ Fortsetzung folgt ganz bald 😉
Ganz toll geschrieben! Eure Geschichten sind spannend und lesen sich leicht. Ich schaue sehr gerne bei eurem Blog vorbei und kann so ein bisschen “mitreisen”! 😁
Nur weiter so … ich freu mich auf eure weiteren Beiträge! 😍
Herzlichst Nicoletta
Liebe Nicoletta,
Vielen Dank für Dein tolles Kompliment! Wir freuen uns sehr, dass Dir der Schreibstil gefällt!!
Ganz liebe Grüße nach Gais