Episode 2: Maine und Acadia Nationalpark

Von PEI nehmen wir die Fähre aufs Festland und fahren Richtung USA, wir wollen in den Acadia Nationalpark. Der erste Grenzgang läuft unproblematisch, inklusive illegaler Obsteinfuhr. 

Boxenstopp

Wir wollen Strecke reissen, stattdessen reisst – nach 2 Wochen Reise – der Aussenwassertank. Im Regen, umzingelt von Mücken und vor einem Bibel Sommercamp schraubt Fabi fluchend die Reste der Befestigung des Tanks unterm Heck ab. In solchen Momenten bist du gereizt, genervt und fragst Dich, warum passiert gerade uns das? Schlimmer aber noch, wenn eine mögliche Selbstverschuldung nicht vom Tisch ist. In unserem Fall mag der ungewollte Offroad-Ausflug auf der Suche nach einem WIRKLICH einsamen Stellplatz nicht zuträglich gewesen sein. 

Verschlammt, zerstochen und mit Aussentank im Innenraum steuern wir unseren Schlafplatz an. Der fällt dann gar nicht mal so einsam aus: Prämiere auf dem Walmart Parkplatz. In den USA und Canada ist Walmart eine Marke für Camper, denn hier kann übernachten wer mag, umsonst. Neben einem sicheren Stellplatz gibt es bei Öffnungszeiten bis oftmals 23 Uhr, WCs, Wifi und natürlich jegliche Lebensmittel. Trotzdem bleibt es ein Parkplatz. 

Den nächsten Tag lernen wir alle Automechaniker und Ersatzteilhändler des Grenznests Calais (USA) kennen. Wir treffen Steve, der nicht nur so heisst, sondern auch so aussieht wie Steve-O von den Jackass Jungs. Begeistert von unserer Reise und dem Auto motiviert er den ganzen Laden sich unseres Problems anzunehmen.

Calais, USA

Am Ende finden wir Ersatzteile und machen es selbst. Steve stellt ein Verkehrshütchen zu unserem Schutz auf.

Der Tank hält, wir schlafen nochmal bei Walmart und sind den nächsten Tag im Acadia Nationalpark.

Beehive Trail 

„Habt ihr eine Reservierung?“, werden wir zum dritten Mal gefragt. Die Dame am Telefon klingt genervt als ich versuche zu erklären, dass wir quasi ein Zelt sind und kein Bungalow auf Rädern. Platz hat sie trotzdem keinen. Für chronisch ohne Reservierung Reisende ist Ende Juni keine einfache Zeit im Acadia Nationalpark. Wir versuchen es weiter und kommen an einem weniger angesagtem Campingplatz unter. Es gibt Feuer mit Fleisch drauf und Popcorn zum Nachtisch – wir sind die Könige vom Park. 

Die Campingplätze in den USA und Canada sind anders als in vielen europäischen Ländern. Oft bestehen sie aus Platz, Feuerstelle und Bank, fertig. Herrlich puristisch, Natur verbunden und viel weniger eng! 

Wir wandern über den Schiffs Path auf den Dorr Mountain und von dort auf den (bekannteren) Cadillac Mountain und schliessen über den Cannon Brook Trail die Rundtour ab (ca. 12 km). Rauf wie runter gilt es einige Kletterpassagen zu bewältigen, die Natur ist zwischendurch unberührt, aber in der Ferne sehen wir fast ständig eine Fabrik. Auf dem Cadillac-Gipfel stehen reichlich Touribusse und Menschen in Flipflops. Eine asiatische Reisegruppe ist so laut beim Gruppenfoto, dass es fast schmerzt. „Aussicht und Gefühl sind nicht das Gleiche wenn man sich den Berg nicht verdient hat“, meint Fabi. 

Wir machen Fotos für uns und die Welt. Dann kraxeln wir runter über glitschige Felsplatten, über Flüsse und auf Moos vorbei an Biberbauten und nur wenig anderen Menschen. 

Nach ein bisschen youtube Recherche trauen wir uns und machen den (berüchtigten) Beehive Trail. Der Typ im Video macht den mit einer Hand (link) und es sind Kinder auf dem Trail. Sowieso sind leider viele Mitmenschen dort. Trotzdem kribbelt es wie noch nie im Bauch bei der Kletterpartie über Steigeisen, an den Abgründen und Felsvorsprüngen und beim Blick nach unten. 

Oben teilt man das Gefühl etwas im Inneren bezwungen zu haben. Erleichtert schlendern die Menschen über die seichteren Trails bergab (den Beehive klettert man aufgrund der Steilheit nicht runter). 

Später, bei Ebbe, stolpern wir die Steine entlang auf der Suche nach der Anemone Cave. Die hatte uns Dave aus seinem VW-Bus heraus als Geheimtip empfohlen. Anemonen sehen wir leider keine in der Höhle, nur Luxusanwesen in einigen 100 Metern Entfernung direkt am Meer. Bei Flut sind wir schon am Sand Beach. Das Wasser ist so kalt, es ist grade mal 4 Monate im Jahr eisfrei. Tauchst Du unter steht kurz die Welt in deinem Kopf still- Gedankenleere. Wir lassen uns am Strand trocknen. Abends gibt es Hummer-Sandwich to go und wir fahren südwärts. 

MAIN – PARKEN VERBOTEN 

Mains zerklüftete Küste zu erkunden ist eine halbe Wissenschaft. Ein feines Strassengeflecht legt sich über die verstreuten Halbinseln. Am Strassenende fast immer Wasser und vielfach einfach gehaltene und super schön gelegene Lobster-Buden. Leider aber auch oft ein Schild mit: Privat, keine Durchfahrt. Oder: Parkverbot. Es ist voll, Touristen aus den USA und aller Welt wollen maritime Sommerromantik mit Hummer und Austern. Wir tun uns etwas schwer mit dem Rummel. 

Den Unabhängigkeitstag der USA (4. Juli) verbringen wir auf Hermit Island an Mains Küste. Wir erleben gelebten Patriotismus auf dem Campingplatz. Stars & Stripes überall: auf häufig sehr grossen Badehosen und oft zu kleinen Bikinis, als Flagge auf dem Zelt, um die Feuerstelle, als Teppich oder gleich in Girlanden über den ganzen Platz. Grenzenlos kreativer Kapitalismus zum Anfassen -und so schön bunt! 

Wir toben im Meer, lassen uns die Füsse vom Sand massieren, liegen in der Sonne, lesen uns Geschichten vor und schweigen zusammen beim Blick in die Glut vom Lagerfeuer. 

Wir treffen Ken, als er unseren Platz kontrolliert und wir noch rasch alles zusammenpacken. Er ist Mitte 60, sportlich und bekennender Alt-Hippie wie sich schnell herausstellt als wir von unserer Reise erzählen. Er ist weit gereist, zu Fuss, mit Fahrrad oder Auto, jedenfalls fast überall hin und immer mit wenig Geld. „Ruhestand? Wie soll ich dann die Reisen finanzieren?“, fragt er. Klingt Logisch. Wir besprechen Routenpläne und bekommen reichlich Tipps. Er ist schon fast wieder weg, da drückt er uns einen Zettel in die Hand. Ushuaia liegt am untersten Zipfel Lateinamerikas, weiter südlich geht fast nicht. „Würdet ihr das machen?“, fragt er lächelnd. „Was für eine gute Idee“, denken wir, stecken den Zettel mit seiner Adresse ein uns versprechen ihm eine Postkarte aus Ushuaia zu schicken. 

In der Nacht stehen wir mitten im Wald, niemand ist zu sehen ausser Mücken. Um 23 Uhr kommt die Polizei mit zwei Wagen und schickt uns weg: Wildcamping verboten in Maine. Sie sind nett, wir schnell weg und wieder mal bei Walmart. „Reisen ist eben nicht gleich Ferien, nur länger“, denke ich beim Sound des Highway kurz bevor meine Ohropax die Welt ausblenden und ich einschlafe.

OUTLET WAHNSINN 

Kittery Outlet ist nur eins von Vielen, für uns verschiebt sich der Maßstab hier aber das erste mal. Alles ist so gigantisch, ein Parkplatz gross wie ein Flughafen. Quasi am Horizont verteilt riesige Geschäfte. Wir gehen zu Fuss von einem zum nächsten – Anfängerfehler. 

Und dann betrittst Du LL Bean:

…DEN Outdoor Laden der USA seit 1912. Berühmt geworden durch seine Kundenkulanz im Rahmen einer riesigen Rückrufaktion undichter „wasserfester“ Anglerschuhe verkauft LL Bean heute so ziemlich alles. Und damit meine ich wirklich alles:

Am Eingang begrüsst Dich ein Lebensgrosser Grizzlybär, danach kommt das Fischbecken. Der wie ein Wanderweg gestaltete Pfad teilt sich links in Anglerbedarf, Hiking und Boote, rechts gehts zu Zelten, Schlafsäcken und allem Übrigen zum Thema Campen. Die Liebe zum Detail und schlauen Lösungen für die Anforderungen der Wildnis ist genial. Es hat einfach alles!

Nach oben laufe ich vorbei an künstlichen Hirschen und einem Schwarzbären zur Jägerabteilung, dort findet man Gewähre, Munition und Tarnkleidung vom Strampler bis zum XXL Anzug. An den Wänden Bilder von Männern mit gigantischen Geweihen auf dem Rücken. Vorm Kamin erhole ich mich in den grossen Sesseln, Fabi habe ich da längst verloren (und er sich auch ein bisschen). Zum Glück gibt es Wifi und wir texten uns in der Abteilung für Holzfällerhemden wieder zusammen. Noch ein Eis in der Food-Corner und dann sind wir nach über einer Stunde auch schon raus.

Eine Jeans, ein Paar Flipflops und Wanderschuhe später sitzen wir ausgepowert im Stau vor Boston, beziehungsweise Cambridge. Goodbye Maine. 

Schreibe einen Kommentar