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Yucatan, Quintana Roo…einfach schöne Reiseziele. Wer aber etwas Entdecken will, der muss nach Chiapas, ins wilde Herz Mexikos. In den Hängen der Sierra Madre lebt, noch immer sehr traditionell, das Volk der Lacandones, hier springen die Affen an Lianen um verwunschene Mayaruinen, tief drin im Dschungel. Und wir holpern im Schlaglochslalom mitten rein ins ungezähmte Mexiko.

Überlandfahrt auf der 199
Nach der Totenschädel-Aktion in Campeche biegen wir in die Landstrasse 199 ein. Fabi schaut mich kurz an, ich weiss genau woran er denkt. Der Fall hat es sogar in den Zeit Verbrechen Podcast geschafft und er ist der Grund für eine weiterhin bestehende Reisewarnung des Auswärtigen Amtes.
Hier auf der 199 wurden zwei europäische Radfahrer von Unbekannten hingerichtet, nachdem sie wohl etwas gesehen bzw. mit ihren Lenkerkameras gefilmt hatten was sie nie hätten sehen sollen. Zwar liegt dieser Vorfall schon ein paar Jahre zurück und geschah weiter südlich, zwischen Palenque und San Cristobal de las Casas, aber die Strasse ist die gleiche. Und das Gefühl auch.
Nach kurzer Zeit türmt sich eine riesige Grenzstation auf, als würden wir nicht bloss das Bundesland, sondern gleich Mexiko verlassen. Überall steht schwer bewaffnetes Personal herum. Aber wir kennen das ja schon: Raus aus dem Auto, Papiere zeigen, Reise erklären, die Karre filzen lassen. Wieder einmal sind wir froh uns mit den Leuten auf spanisch unterhalten zu können. Mit jedem Wort werden solche Situationen entspannter, der Umgang freundlicher. So erfahren wir auch, dass die 199 heute zwar in schlechtem Zustand aber bis Palenque sicher ist. Gracias!
Mayaruinen in Palenque
In Palenque treffen wir auf dem schöne Campingplatz Maya Bell endlich mal wieder andere Reisende: Maria und Felipe aus Brasilien (@pelo.retrovisor). Inmitten mächtiger Bäume, im Brüllen und Zirpen des nächtlichen Dschungelsounds tauschen wir unsere Erlebnisse aus. Wie ist das gewesen, vor Corona? Wie ging es in Quarantäne, was waren Eure Sorgen, und wie habt Ihr Lösungen gefunden? Hat Corona auch etwas Positives bewirkt, reist ihr jetzt anders? Was sind eure Pläne? Es tut so gut all diese Fragen mal mit Menschen zu diskutieren, die in der gleichen Lage sind wie wir. Corona trifft uns alle, und doch stellt es uns vor unterschiedliche Probleme – je nach Lebenssituation.
Tags darauf schauen wir zu viert die imposanten Mayaruinen von Palenque an. Es ist fast unmöglich die Gesichtsmasken bei schwül-heissen 38°C aufzubehalten. Trotzdem ist es ein Erlebnis, und noch dazu eines, dass wir bedingt durch die aktuelle Situation nicht mit allzu vielen Menschen teilen müssen.
Im Dschungel von Yaxchilan
Mit neuen Reisetipps unseren Freunden ausgestattet, steuern wir Richtung guatemaltekischer Grenzregion. Wir wollen Yaxchilan sehen. Diese Mayaruinen liegen versteckt im tiefen Dschungel zwischen Mexiko und Guatemala und sind ausschliesslich per Lancha (dt: kleines Boot) zu erreichen.
Je weiter wir fahren, desto schlechter wird die Strecke. Schlaglöcher und Topes wetteifern um unsere Ungunst. Plötzlich ist das halbe Dorf auf der Strasse. Zwei Paar fette, an Seilen befestigte Nagelbretter werden über der Strasse ausgebreitet. Nichts geht mehr. Und jetzt?
Roadblock: Wir haben viel davon gehört und gelesen, waren bislang aber selbst nicht davon betroffen. Die Landbevölkerung, meist aus ärmeren Verhältnissen stammend blockiert Strassen und fordert Wegzoll. Meist gibt es eine politisch-ökonomische Begründung für den Protest. Viele fühlen sich von der Regierung um Land betrogen (oft geht es Bodenschätze oder Energiegewinnung), manche bemängeln auch die schlechte medizinische Versorgung oder fehlende Bildungschancen für indigene Bevölkerungsgruppen. Einige wollen sozialistische Freiheitskämpfer aus der Gefangenschaft befreien und hegen Revolutionsbestrebungen.
Aber am Ende geht es natürlich um Geld. Wir fragen höflich nach ihrem Anliegen, bleiben ruhig und nicken verständnisvoll, zahlen nach kurzer Verhandlung lächerliche 50 Pesos (umgerechnet 2 Euro) und düsen weiter. Zum Abschied winken sie, alles halb so wild.
Am Nachmittag springen wir ins kleine Motorboot und pesen mitten durch tiefsten Dschungel. Links Mexiko, rechts Guatemala. Nach über einer halben Stunde sind wir da. Die Ruine ist die wildeste die wir bislang gesehen haben. Die Anlage ist menschenleer als wir das Herzstück, die Gran Akrópolis erklimmen. Um unsere Köpfe springen Affen an Lianen, der Dschungel brummt vor Leben, aber kein Mensch ist zu hören. Einfach irre! Wir sind überwältigt von dieser magischen Erfahrung. In der Nachmittagsdämmerung fahren wir zurück, am Flussrand sonnt sich ein Krokodil. Abends treffen wir mexikanische Biker auf ein paar Corona und schlafen zum fernen Brüllen der Affen wohlig ein in unserem Klappdach.
Little Canada, oder Lagunas de Montebello
Wir kämpfen uns weiter durchs tiefste Chiapas, vorbei an Dörfern durch die länger kein Tourist mehr kam. Skeptische Blicke winken wir erfolgreich weg. In der Öffentlichkeit tragen wir immer Masken, auch draussen. Denn wir möchten niemandem Angst machen, sind wir doch die Fremden, die das Ganze hierher gebracht haben – aus der Sicht vieler Dorfbewohner.
Wunderschön schlängelt sich die kleine Strasse durch die Sierra Madre Chiapas. Stellenweise kommen wir aber nur im Schritttempo voran, die Regenfälle und das heisse Klima machen den nur teils asphaltierten Straßen zu schaffen. An den Lagunas de Montebello finden wir unser Little Canada. Wir machen Lagerfeuer am See, kramen die Pullis aus der hinterletzten Ecke hervor und geniessen die angenehm kühlen Temperaturen in dieser Höhe der Berge.
Zu viel Wasser für El Chiflon
Die nächste Etappe durch Chiapas Strassen hält wieder eine Überraschung für uns parat: Wasser.
Wir wandern zum Wasserfall El Chiflon. Der ist imposant, zumal er aktuell enorm viel Wasser führt. Vorsichtig pirsche ich mich weiter zur obersten Plattform vor. Eine Mischung aus Faszination und Angst steigt in mir auf. An Fotos ist nicht zu denken, die Gischt des Wasserfalles fliegt uns so heftig entgegen als wären wir schon halb darunter, man hört bloss noch das Tosen der Wassermassen. Schliesslich brechen wir ein paar Meter vorher ab. „Die Palttform müssen die doch sperren, das ist ja lebensgefährlich!“, keucht Fabi und wischt sich unnützer Weise das Gesicht am klitschnassen T-Shirt ab. Recht hat er, aber auch das ist Mexiko. Weniger Regeln, mehr gesunder Menschenverstand. Hätten wir auch mal gleich lassen können, da raufzukraxeln!
Es ist Regenzeit in Chiapas, das können wir bestätigen. Nein, kein norddeutsches Schietwetter, aber plötzlich geht es – mal wieder – einfach nicht mehr weiter. Die Strasse über den Fluss ist auf einer Länge von über 200 Metern überflutet. Und jetzt?
Wir fragen einen Local. Es sei sehr schwierig nicht abgetrieben zu werden wegen der langen Strecke und der Strömung. Ein paar mal müsse man aufpassen, weil Fahrräder oder anderes Zeug am Boden liege. Aber wir könnten es schon probieren… Mir wird Angst und Bange. Zum Glück verzichtet Fabi letztlich auf das Unterfangen Flussdurchfahrt. Und wie immer beim Reisen: Es gibt einen Plan B. Entspannte 20 Minuten später sind wir wieder auf der Route, einfach quer über die Felder den Locals hinterher, D-Tour auf mexikanisch.

Coca Cola und Kerzenlicht in Chamula
In San Juan de Chamula streiten wir uns über Schmiermnippel. Beziehungsweise die Dringlichkeit diese fetten zu lassen. Deshalb besichtigen wir die Kirche getrennt. Vielleicht gar nicht so schlecht, denn die erlebt man besser ganz bei sich.
Von aussen denkt man: „Ja, schön, eine typische katholische Kirche in Mexiko“. Aber dann gehst Du rein: Heu liegt auf dem gesamten Fussboden verstreut; überall brennen Kerzen, es sind tausende, sie sind die einzige Beleuchtung. Einen Altar im vorderen Bereich, Kreuze oder Bänke gibt es nicht. Von Jesus fehlt jede Spur. Die Menschen knien am Boden vor kleinen Altaren aus noch mehr Kerzen und Opfergaben wie lebenden Hühnern, Süssigkeiten und ganz viel – Coca Cola. Ja, echt, Coca-Cola. Ich bin mal wieder baff. Chiapas ist speziell. Lange lasse ich die Atmosphäre auf mich einwirken. Dann erst entdecke ich die katholischen Heiligen am Rand des Geschehens. Bloss interessiert sich keiner für sie.
Später (da sind wir dann auch wieder vertragen) erfahren Fabi und ich mehr über die Kirche der Lacandones. Die Lacandones gehören zum Volk der Maya. Sie leben noch immer traditionell, oft tief in den Bergen Chiapas. Den spanischen Katholizismus haben sie nie vollständig akzeptiert, aber so getan als ob. Zumindest gerade so viel, als dass sie ihre Ruhe von den Priestern hatten. Frei nach dem Motto: Ok Leute, wir machen mit bei eurem Kirchendings, aber wir machen es auf unserer Art!
Im Laufe der Zeit haben sich viele Einflüsse vermischt. So erklärt sich wahrscheinlich auch die Spezialisierung auf Coca-Cola als Opfergabe. Chamula verzeichnet übrigens weltweit den grössten Pro-Kopf-Konsum dieses Erfrischungsgetränkes. Glaube als Teil unserer Kultur ist immer im Wandel, lernen wir hier wieder. Es bleibt also spannend, wie es weitergeht mit den Lacandones, den katholischen Heiligen und dem Coca-Cola Imperium.
Wie es bei uns weitergeht liesst Du schon ganz bald, und zwar DA.